Spicken, täuschen, hochstapeln

„Spicken, täuschen, hochstapeln“

Erinnern Sie sich noch an den legendären Postboten Gert Postel, der jahrelang als Oberarzt durchkam? Auch Karl May begann als Hochstapler und schrieb im Gefängnis nicht nur die Winnetou-Romane. Carl Zuckmayer erfand den „Hauptmann von Köpenick“ und Thomas Mann den Hochstapler „Felix Krull“. Und nun der Dokumentarfilm „Die Hochstapler“, in dem ein Schrotthändler erzählt, wie er als angeblicher US-Major und Diplomat eine Nato-Sicherheitskonferenz organisierte. Ein anderer berichtet aus dem Gefängnis heraus von einem Flug zum Mond, den er sich finanzieren ließ.

Kriminelle Taten und Betrug einerseits, andererseits Schadenfreude und ein Grinsen beim Hören, wieder ein neuer literarischer Stoff für Romane, Filme, früher auch für Opern.

Warum amüsieren uns diese Geschichten? Ich glaube, weil das Täuschen, Spicken, Hochstapeln in uns allen steckt.

Schon Vierjährige fangen an, ihre Zahnbürsten anzufeuchten ohne sie genutzt zu haben. Wir alle kennen das Tricksen und Spicken aus der Schulzeit, manchmal als Überlebensstrategie. Es gehört zum Erwachsenwerden diese Grenzen auszutesten. Problematisch ist es, wenn die Erwachsenen dafür zu blind sind, denn nur negative Konsequenzen sind pädagogisch wichtig.

Doch leider geht es weiter mit den Steuertricks nicht nur der sogenannten Großen, nein eigentlich von uns allen - wie die Steuerfachleute immer wieder konstatieren. Das heimliche Telefonieren aus dem Büro, das Kopieren von Privatem, das Nutzen der Arbeitszeit zum Serven in Pornokanälen, ist das kein Betrug? Das summiert sich in einem Betrieb, in unserer Volkswirtschaft, zweifellos. Und: Da sind wir nicht besser als die sogenannten „Großen“, haben halt nur geringere Möglichkeiten. Doch die werden reichlich genutzt.

Hochstapeln ist ein Begriff aus der Gaunersprache und bedeutet „in betrügerischer Absicht eine höhere gesellschaftliche Stellung einzunehmen“.

Auch das gehört zur Entwicklung von Kindern: In der magischen Phase zwischen drei und fünf Jahren verkleiden sie sich am liebsten als Batman oder Prinzessin, probieren Rollen aus: Vater, Mutter, Doktor, Lehrer, Polizist. Sie probieren wichtige Rollen, um die eigene zu finden, wollen geliebt und anerkannt werden. Das ist normal. Nicht normal wäre, wenn sie als Erwachsene noch meinen, nur Anerkennung in fremden Rollen zu erfahren, mehr „Schein als Sein“ präsentierten oder „Sich mit fremden Federn schmückten“, wie der Volksmund sagt. Manche Menschen entwickeln eine sogenannte „Als-ob-Persönlichkeit“, wissen eigentlich nicht, wer sie wirklich sind und haben panische Angst davor, dass dies irgendwann einmal sichtbar wird.

Oder die sogenannten Medienpersönlichkeiten: Fußballer, die zwar fabelhaft Fußball spielen, aber keinen geraden Satz formulieren können, werden plötzlich zu politischen Themen befragt. Und die Zuschauer, die sich furchtbar über die Gehälter von Politikern aufregen, regen sich keineswegs über die zehnfach so hohen Gagen von Sportlern oder Models auf, die lediglich ihr hübsches Gesicht und ihren dürren Körper präsentieren. Auch sie gelten als Persönlichkeiten von Wichtigkeit.

Warum eigentlich?
Es ist oftmals Gier, die zum Betrug antreibt: Gier nach Anerkennung, weniger nach Geld sondern nach Prestige. Und es ist wohl oft Gier auch bei denen vorhanden, die sich betrügen lassen: Man will partizipieren am besonderen Status des Anderen, sonnt sich in seinen vorgegaukelten Freundschaften zu bedeutsamen Menschen, will einen Zipfel von den prestigeträchtigen Aktionen für sich verbuchen - wie bei dem angeblichen Flug zum Mond.

Denn jede Rolle braucht eine Komplementärrolle: In einen Seitensprung sind mindestens drei, wenn nicht vier Personen verstrickt; zur Machtausübung oder Manipulation gehören ebenfalls mindestens zwei Akteure.

Keiner von uns ist dagegen gefeit, weder auf der einen noch der anderen Seite, wohl auch deswegen empfinden wir nicht nur Schadenfreude, sondern meist auch ein klammheimliches Verständnis fürs Spicken, Täuschen, Hochstapeln!