Bildungsferne, Elternpflichten
Kommentar für Deutschlandradio-Kultur
Juli 2010
Alle Spatzen und Pisaergebnisse pfeiffen es von den Dächern: Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern haben es schwer in weiterführende Schulen zu kommen. Die reflexartige Antwort: Staatliche Bildung muss verstärkt werden, um die „Kernkompetenzen“ auszuweiten.
Amerikanische Untersuchungen belegen einerseits den positiven Effekt früher Kindergartenbetreuung bezogen auf die Kognition und Sprachentwicklung, die jedoch bis zum Ende der Grundschulzeit oft wieder verblaßen. Andere Untersuchungen belegen das Gegenteil: Dass Verhaltensstörungen und Aggressionen steigen, je früher die Kinder in den Kindergarten kommen. - In Berlin wird für die frühkindliche Betreuung bis 6 Jahren 4100 Euro pro Kind ausgegeben, in Bayern nur 2100 Euro, doch die Schulergebnisse sind krass umgekehrt.
Das klassisch-humanistische Bildungskonzept geht von der Selbstbildung des eigenen Körpers, des Geistes, der Seele aus. Dafür ist jeder Einzelne verantwortlich. Auch hat Bildung nicht unbedingt etwas mit Schulabschlüssen zu tun, wie ich immer wieder in Ostdeutschland erfahre: Hier gibt es Menschen, die zu DDR-Zeiten aus politischen oder Herkunftsgründen keine weiterführenden Schulen besuchen durften, Handwerker wurden, jedoch gebildet sind und mit Professoren über Zinngeräte korrespondieren oder über französische Barock-Malerei informiert sind, womit ein Malermeister mich überraschte.
In der politischen Arbeiterbewegung der 1920er Jahre gab es enorme Anstrengungen, sich und seine Kinder zu bilden, doch die traditionslose Arbeiterschaft ohne Selbstanstrengungen wächst. Dabei ist der Zugang zu Bildungsmöglichkeiten so gut wie niemals zuvor: Schulen umsonst, Bibliotheken umsonst, Theaterkarten für Hartz-IV-Kinder kosten in einer Mittelstadt 4 Euro. Dumm nur, dass das Geld durch das unabdingbare Popcorn zu 5 Euro bereits buchstäblich aufgegessen ist!
Da z.B. in Berlin zwischen dem Finanz-Input und dem Bildungs-Output eine derart krasse Lücke klafft, ist zu fragen: Was wäre rentabler? Eine Antwort: Elternbildung!
Der „Elternführerschein“, abhängig davon die Auszahlung des Kindergeldes, wäre Erziehungsunterricht. Auch könnten Eltern-Verträge ab der Kitazeit Bewusstsein schaffen. Denn ohne Regeln und Sanktionen gibt es selten Verhältensveränderungen, jeder kennt dies von seinem eigenen Verhalten im Straßenbverkehr.
Simple Vertragsanforderungen um die „Kernaufgaben“ zu erfüllen, völlig geldfrei, die durch Millionen-Investitionen und alle Anstrengungen der Erzieher nicht zu ersetzen sind, wären folgende:
- Tägliche Bewegung regt den Körper und das Gehirn an. Joggen, wandern, Ballspiele. Gymnastikübungen kommen durchs Fernseher frei Haus.
- Geregelt Zubettgehzeiten sind unabdingbar wichtig für die Gehirnentwicklung, machen schlau, ausgeruht, aggressionsärmer und deswegen sozial kompatibler.
- Geregelte Essenszeiten fördern ebenfalls die Intelligenz, da Zeit-Strukturen die Vorlage für die Rechtschreibung und Mathematik darstellen.
- Zu täglichem Vorlesen müssten sich Eltern verpflichten, ein halbes Stündchen hilft! Jegliche Bildung läuft nur über die Sprache und 40 Prozent der Kind sind beim Schuleintritt weitgehend stumm und damit dumm von ihren Eltern gemacht worden. Doch in vielen Kitas lernen sie leider nur die Kiezsprache von anderen Kiezkindern.
- Mehrfach pro Woche im Wald toben, spielen, die Natur erkunden, Kräfte sammeln, glücklich sein – auch umsonst.
- Medienreduzierung: Kein Fernseher im Kinderzimmer, ganz preiswert.
Über diese sechs schlichten Punkte müssten Kinderärzte sowie Pädagogen informieren, sie abfragen, fordern, an die Liebe zu den eigenen Kindern appellieren. Fernsehspots könnten dies visualisieren, eine Elternbildungsinitiative müsste her, denn staatliche Bildung ist nur ein Zusatz zu dieser elterlichen Kernfürsorge: Ohne ausreichenden Schlaf gibt es keine Lernfähigkeit!