Hörfunk - Frustrationstoleranz

Frustrationstoleranz

Von Astrid von Friesen

Politisches Feuilleton, Deutschlandfunk

Phantasieren wir: Im reichen Deutschland bekommen zwei akademisch gebildete Eltern ein Kind. Dieses wird in die beste aller Welten hineingeboren, denn die Eltern sind intelligent, heiter, klug, voller Liebe 24 Stunden am Tag. Was sollte man also diesem privilegierten Kind noch wünschen? Mir fällt nur ein: Frustrationstoleranz!

 

Wie Menschen mit alltäglichen Enttäuschungen, Zurückweisungen, Misserfolgen, mit Langeweile umgehen, ist eine zentrale Größe für ihr Lebensglück. Und als Kitt für unsere Gesellschaft unabdingbar. Denn die Toleranz misslicher Alltags-Zustände bedeutet einen erwachsenen, reifen Umgang mit der jeweiligen Realität und nur darauf basiert realistisches Veränderungspotential.

 

All dies lernen wir in der Kindheit! Es ist eine ärgerliche Realität, dass nicht jedes Kinder ständig gewinnen kann oder dass ein anderes die Hauptrolle im Theaterstück erhält. Auch trauen sich Eltern oftmals nicht, ihrem Kind ein Abwarten, auch nur ein fünfminütiges abzuverlangen: Sie lassen sich ständig aggressiv unterbrechen, stehen bei Tisch selbst auf und holen den Apfelsaft, wenn die Sechsjährige, weder mental noch körperlich verhindert, diktatorisch danach verlangt! Und entlassen ihre 18Jährigen ins Leben mit zu wenig bis keinen Koch-, Putz- und Selbstorganisations- und Demokratiefähigkeiten.

 

Folgende Botschaft kommt täglich ein Dutzend Male an: Du darfst unterbrechen, selbstverständlich wirst du bedient, es ist erlaubt andere zu dominieren! Du musst nur nörgeln und brüllen! Hinzukommt, dass diese Kinder für jede kleinste Lebensäußerung mit Lob überflutet werden. Bereits seit 30 Jahren nenne ich dies „Tot-Loben“, weil damit keine realistische Selbstwahrnehmung eingeübt wird. Oder: „Verwöhnung bis zur Lebens-Behinderung“!

 

Doch wie soll ein Gemeinwesen bei chronifizierter Gereiztheit sowie rechthaberischem, aggressivem bis cholerischem Verhalten funktionieren, wenn zudem das Selbstmitleid, das deutsche Lamentieren und die Verachtung wächst? Durch immer stärkere Anforderungen, Unsicherheiten und Entgrenzungen an den Arbeitsplätzen, durch eine missverstanden demokratisierende Erziehung werden zunehmend Prinzen und Tyranninnen denn zukünftige Demokraten erzogen!

 

Was heißt das für unsere Gesellschaft? Parteien, Verbände und die freiwilligen Feuerwehren klagen bereits seit Jahren über schwindende Freiwillige. Und Lehrherren über Ausbildungs-Hopper und -Abbrecher. Politische Partizipation funktioniert meist nur noch bei kurzfristigen Kampagnen – der lange Atem geht vielen aus, die Mühsal der Ebene wird gemieden. Wegen der sich dahinter verbergenden ICH-Schwäche haben diese Betroffenen oft Leistungs- und Durchhalteprobleme und können sich selbst wenig Zufriedenheit über Schulleistungen, ihre beruflichen Tätigkeiten, über Sport oder Hobbies verschaffen, weil sie die anfänglichen Misserfolge schwer verkraften. Doch jeder Mensch fällt beim Skilaufen zunächst auf die Nase, das ist normal!

 

Die neuen Medien verstärken dies durch die sofortigen Dopaminausschüttungen! Im realen Leben und beim Vokallernen sind diese Glückshormone naturgemäß schwieriger zu erhalten. Geschweige denn bei langwierigen, demokratischen Prozessen, nämlich bei der Gremien- und Parteiarbeit, beim Beschaffen von Mehrheiten.

 

Viel Politikverdrossenheit scheint mir auf diesem Mangel an Frustrationstoleranz zu beruhen, was zur Verachtung von differenziert arbeitenden Politikern, Wissenschaftlern und anderen Experten führt, die – in einem unbewussten Umkehrschluss -  sozusagen stellvertretend für das eigene Versagen gehasst werden. Extrem kurze Anti-Parolen entsprechen dieser Neigung, Dinge nicht zu Ende zu denken bzw.mehrere Seiten zu beleuchten. Viele dieser Meckerer wirken wie verwöhnte, nörgelnde Fünfjährige, auch mit der Fäkalsprache der Kleinkinder, die nicht lernen durften, reif mit den Realitäten des Lebens umzugehen!